Übersicht: Am Weihnachtsmorgen 1772 | Lohn verscheucht die Hausgeister | Weihnachtsabend | Weihnachten | Ein unerwarteter Gast
1. Am Weihnachtsmorgen 1772
Von: Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Christtag früh. Es ist noch Nacht, lieb er Kestner, ich bin aufgestanden, um bei Lichte morgens wieder zu schreiben, das mir angenehme Erinnerungen voriger Zeiten zurückruft; ich habe mir Coffee machen lassen, den Festtag zu ehren, und will euch schreiben, bis es Tag ist.
Der Türmer hat sein Lied schon geblasen, ich wachte darüber auf. Gelobet seist du, Jesus Christ! Ich hab diese Zeit des Jahrs gar lieb, die Lieder, die man singt, und die Kälte, die eingefallen ist, macht mich vollends vergnügt. ich habe gestern einen herrlichen Tag gehabt, ich fürchtete für den heutigen, aber der ist auch gut begonnen, und da ist mir’s fürs Enden nicht angst.
Der Türmer hat sich wieder zu mir gekehrt; der Nordwind bringt mir seine Melodie, als blies er vor meinem Fenster. Gestern, lieber Kestner, war ich mit einigen guten Jungens auf dem Lande; unsre Lustbarkeit war sehr laut und Geschrei und Gelächter von Anfang zu ende. Das taugt sonst nichts für de kommende Stunde. Doch was können die heiligen Götter nicht wenden, wenn’s ihnen beliebt; sie gaben mir einen frohen Abend, ich hatte keinen Wein getrunken, mein Aug war ganz unbefangen über die Natur. Ein schöner Abend, als wir zurückgingen; es ward Nacht.
Nun muss ich Dir sagen, das ist immer eine Sympathie für meine Seele, wenn die Sonne lang hinunter ist und die Nacht von Morgen heraus nach Nord und Süd um sich gegriffen hat, und nur noch ein dämmernder Kreis von Abend herausleuchtet.
Seht, Kestner, wo das Land flach ist, ist’s das herrlichste Schauspiel, ich habe jünger und wärmer stundenlang so ihr zugesehn hinabdämmern auf meinen Wanderungen. Auf der Brücke hielt ich still. Die düstre Stadt zu beiden Seiten, der stilleuchtende Horizont, der Widerschein im Fluss machte einen köstlichen Eindruck in meine Seele, den ich mit beiden Armen umfasste.
Ich lief zu den Gerocks, ließ mir Bleistift geben und Papier und zeichnete zu meiner großen Freude das ganze Bild so dämmernd warm, als es in meiner Seele stand. Sie hatten alle Freude mit mir darüber, empfanden alles, was ich gemacht hatte, und da war ich’s erst gewiß, ich bot ihnen an, drum zu würfeln, sie schlugen’s aus und wollen, ich soll’s Mercken schicken. Nun hängt’s hier an meiner Wand und freut mich heute wie gestern. Wir hatten einen schönen Abend zusammen, wie Leute, denen das Glück ein großes Geschenk gemacht hat, und ich schlief ein, den Heiligen im Himmel dankend, dass sie uns Kinderfreude zum Christ bescheren wollen.
Als ich über den Markt ging und die vielen Lichter und Spielsachen sah, dacht ich an euch und meine Bubens, wie ihr ihnen kommen würdet, diesen Augenblick ein himmlischer Bote mit dem blauen Evangelio, und wie aufgerollt sie das Buch erbauen werde.
Hätt ich bei euch sein können, ich hätte wollen so ein Fest Wachsstöcke illuminieren, dass es in den kleinen Köpfen ein Widerschein der Herrlichkeit des Himmels geglänzt hätte. Die Torschließer kommen vom Bürgermeister und rasseln mit den Schlüsseln. Das erste Grau des Tags kommt mir über des Nachbarn Haus, und die Glocken läuten eine christliche Gemeinde zusammen. Wohl, ich bin erbaut hier oben auf meiner Stube, die ich lang nicht so lieb hatte als jetzt.
2. Lohn verscheucht die Hausgeister
Von: Josef Virgil (1831 – 1919)
Die Nächte von Weihnachten bis zum heil. Dreikönigstage werden in Böhmen und andern Theilen Oesterreichs die „Unternächte“ genannt. In dieser Zeit machen sich die Hausgeister besonders bemerkbar.
Nicht weit von Saaz lebte eine Bürgerfamilie, deren Hausmutter in der Zeit der Unternächte wie gebräuchlich ihre Magd wechselte. Als das Mädchen den ersten Tag im Dienste zubrachte und früh morgens sehr zeitlich aufstand, um seine Arbeiten so bald als möglich fertig zu haben, fand es zu seinem großen Erstaunen bereits Zimmer und Küche blank gescheuert, alle Geräthe geputzt, kurz Alles war bereits in Ordnung.
Das Mädchen, in der Meinung, die Frau müsse es gethan haben, war erstaunt darüber, daß diese schon so früh aufgestanden sein sollte und nahm sich vor, am folgenden Tage noch zeitlicher aufzustehen. Als die Frau erwachte, hatte sie große Freude über den Fleiß ihres Dienstboten, denn sie glaubte, diese habe Alles gemacht und nahm sich im Stillen vor, das Mädchen dafür zu belohnen. Des andern Tages stand das Mädchen noch früher auf, findet jedoch abermals Alles ganz so, wie sie es am Morgen zuvor gefunden hatte. Auch am dritten Tage kam sie nicht zu dem erwünschten Aufschlusse.
Als nun an diesem Tage die Frau abermals so freundlich und zuvorkommend mit ihr war, und ihren Fleiß lobte, sagte sie ihr endlich, daß es sie außerordentlich kränke, wenn die Frau alle Arbeiten selbst mache. Diese fragte befremdet, wie sie das meine. Beide kamen nun überein, mehrere Nächte abwechselnd zu wachen, damit sie dann sicher den räthselhaften Helfer entdecken könnten. Schon in der ersten Nacht zwischen 12 – 1 Uhr sahen sie zwei winzige Hauskobolde, in der Gestalt eines Knaben und Mädchens hereinkommen. Beide arbeiteten mit einer solchen Schnelligkeit, daß in kurzer Zeit alles in Ordnung war.
Verwundert beschlossen sie auch in der folgenden Nacht zu wachen und sie gewahrten das Gleiche. Die Kobolde erschienen, arbeiteten fleißig und giengen wieder ihres Weges. Besonders auffallend schien es ihnen, daß die armen Geister ganz nackt kamen. Mitleidig beschloß die Frau ihnen eine Freude zu machen und legte ihnen in der folgenden Nacht 2 ganze vollständige Kleidungen zurecht.
Als sie kamen und die Kleider sahen, fingen sie überlaut zu weinen an und der Kobold sagte zu seiner Gefährtin: Nun werden wir auch hier bezahlt und dürfen nichts mehr arbeiten; wo werden wir nun wieder eine gesittete Familie finden? Klagend packten sie dann ihre Geschenke zusammen, giengen ohne etwas zu arbeiten fort und kehrten nicht mehr wieder.
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3. Weihnachtsabend
Von: Theodor Storm (1817 – 1888)
An die hellen Fenster kommt er gegangen
Und schaut in des Zimmers Raum;
Die Kinder alle tanzten und sangen
Um den brennenden Weihnachtsbaum.
Da pocht ihm das Herz, daß es will zerspringen;
»Oh«, ruft er, »laßt mich hinein!
Was Frommes, was Fröhliches will ich euch singen
Zu dem hellen Kerzenschein.
Und die Kinder kommen, die Kinder ziehen
Zur Schwelle den nächtlichen Gast;
Still grüßen die Alten, die Jungen umknien
Ihn scheu in geschäftiger Hast.
Und er singt: »Weit glänzen da draußen die Lande
Und locken den Knaben hinaus;
Mit klopfender Brust, im Reisegewande
Verläßt er das Vaterhaus.
Da trägt ihn des Lebens breitere Welle
Wie war so weit die Welt!
Und es findet sich mancher gute Geselle,
Der’s treulich mit ihm hält.
Tief bräunt ihm die Sonne die Blüte der Wangen,
Und der Bart umsprosset das Kinn;
Den Knaben, der blond in die Welt gegangen,
Wohl nimmer erkennet ihr ihn.
Aus goldenen und aus blauen Reben
Es mundet ihm jeder Wein;
Und dreister greift er in das Leben
Und in die Saiten ein.
Und für manche Dirne mit schwarzen Locken
Im Herzen findet er Raum;
Da klingen durch das Land die Glocken,
Ihm war’s wie ein alter Traum.
Wohin er kam, die Kinder sangen,
Die Kinder weit und breit;
Die Kerzen brannten, die Stimmlein klangen,
Das war die Weihnachtszeit.
Da fühlte er, daß er ein Mann geworden;
Hier gehörte er nicht dazu.
Hinter den blauen Bergen im Norden
Ließ ihm die Heimat nicht Ruh.
An die hellen Fenster kam er gegangen
Und schaut‘ in des Zimmers Raum;
Die Schwestern und Brüder tanzten und sangen
Um den brennenden Weihnachtsbaum.
Da war es, als würden lebendig die Lieder
Und nahe, der eben noch fern;
Sie blicken ihn an und blicken wieder;
Schon haben ihn alle so gern.
Nicht länger kann er das Herz bezwingen,
Er breitet die Arme aus:
„Oh, schließet mich ein in das Preisen und Singen,
Ich bin ja der Sohn vom Haus!“
4. Weihnachten
Von: Adelheid Humperdinck-Wette (1858 – 1916)
Leise weht’s durch alle Lande
wie ein Gruß vom Sternenzelt,
schlinget neue Liebesbande
um die ganze weite Welt.
Jedes Herz mit starkem Triebe
ist zu Opfern froh bereit,
denn es naht das Fest der Liebe,
denn es naht die Weihnachtszeit.
Und schon hat mit tausend Sternen
sich des Himmels Glanz entfacht,
leise tönt aus Himmelsfernen
Weihgesang der heil’gen Nacht.
Hell aus jedem Fenster strahlet
wundersam des Christbaums Licht,
und der Freude Schimmer malet
sich auf jedem Angesicht.
Lichte Himmelsboten schweben
ungeseh’n von Haus zu Haus;
selig Nehmen, selig Geben
geht von ihrer Mitte aus.
O willkommen, Weihnachtsabend,
allen Menschen, groß und klein!
Friedebringend, froh und labend
mögst du allen Herzen sein!
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5. Ein unerwarteter Gast
Von: Finestwords Redaktion
Tanja hockte an dem tiefen Erkerfenster in dem Wohnzimmer ihres Elternhauses und starrte hinaus. Weiße Schneeflocken fielen vom Himmel und ließen den Garten vor ihr unter einer dicken Schneedecke verschwinden. Sie hatte ihr Gesicht so nah an die Scheibe gepresst, dass sie das kalte Glas an ihren erhitzen Wangen spüren konnte.
Dieses Jahr würde es ein besonderes Weihnachten werden, das spürte sie. Nach Jahren voller Ungewissheit und unbeantworteter Fragen, würde sie heute Abend endlich die Wahrheit herausfinden. Tanja erinnerte sich wieder an die beiden gelben Briefe, die sie vor einigen Monaten verschickt hatte und das kribbelige Gefühl in ihrem Bauch verstärkte sich zunehmend.
Das Läuten der Klingel riss sie aus ihren Gedanken und sie sprang schnell auf, um die Tür zu öffnen. Ihre Mutter und ihr Adoptivvater Lars kamen in den Flur gestürzt. Lars zog hinter sich einen riesigen Baum her, der einfach nicht durch die Tür passen wollte. Tanjas Mutter begann laut zu lachen, als sie sah, wie sich ihr Mann mit dem Baum abmühen musste.
Tanja bekam sofort ein schlechtes Gewissen, weil sie sich nicht sicher war, ob ihre Mutter wegen den Briefen sauer sein würde. Dabei hatte sie selbst eigentlich das Recht etwas wütend zu sein, da ihre Mutter ihr bis heute einfach nicht verraten wollte, wer ihr leiblicher Vater war. Also hatte sie die Sache einfach selbst in die Hand genommen und alte Studienfreundinninen ihrer Mutter gefragt, mit wem sie vor 27 Jahren zusammen gewesen war. Zu Tanjas Überraschung war es nicht nur ein Mann gewesen, sondern zwei. Im Namen ihrer Mutter hatte sie genau die beiden zu einem Weihnachtsessen eingeladen und zu ihrer Überraschung, hatten beide zugesagt.
Nervös schaute Tanja auf ihre Uhr. Es blieb ihr nicht mehr viel Zeit, ihrer Mutter und Lars von ihrer Kurzschlusreaktion zu erzählen.
„Ist das Essen schon fertig mein Schatz?„, fragte ihre Mutter, während sie aus ihrer dicken Daunenjacke und ihren Stiefeln schlüpfte. Weißer Schnee rieselte von ihren Haaren und hinterließ eine feine Spur auf dem Parkettboden.
„Alles fertig. Mara hat sich mal wieder selbst übertroffen. Ihr könnt schon ins Esszimmer gehen wenn ihr wollt.“
Lars hatte es mittlerweile geschafft den Weihnachtsbaum aus den Flur in das Wohnzimmer zu zerren. Nun versuchte er ihn in einen riesigen Baumständer zu zwängen. Auch Tanja musst nun schmunzeln. Es sah einfach zu witzig aus, wie er mit hochrotem Kopf und dicker Jacke mit dem Baum herumhantierte. Tanja war unheimlich froh, dass er ihr Adoptivvater war. Sie hätte sich niemand besseren in ihrer Kindheit vorstellen können, der ihr das Fahrradfahren und Lesen hätte beibringen können. Trotzdem wollte sie nun endlich nach 26 Jahren herausfinden, wer ihr biologischer Vater war.
In den letzten Monaten hatte sich diese Frage immer weiter in ihr Hirn gebrannt, ohne dass sie etwas dagegen hätte tun können.
Aufgeregt zupfte sie an den Ärmeln ihrer Bluse herum und ging in das Esssimmer, in dem bereits ihre Mutter und ihre Tante Mara saßen. Neben Mara stand ein Kinderstuhl, in dem Tanjas kleine Cousine Sina hockte. Sie kaute auf einer Möhre herum und empfing Tanja mit einem strahlendem, zahnlosen Lächeln.
„Tani“, rief sie laut und warf die Möhre auf den Tisch vor sich. Die Möhre landete mit einem lauten Klappern auf dem Teller von Mara. Auch diese lächelte Tanja an. Tanja war froh immerhin ihr etwas von den beiden Männern erzählt zu haben. Sie brauchte eine Verbündete, falls der Abend nicht so laufen würde, wie sie es sich erhofft hatte. Gerade als sie sich setzten wollte, hörte sie das Türklingeln und ihr Blut schien in ihren Adern zu gefrieren.
„Ist das etwa der Weihnachtsmann?“, hörte sie ihre Mutter verschwörerisch fragen, die Sina einen kurzen Blick zuwarf. Sina blieb unbeeindruckt und begann nun auf einem Löffel herumzulaufen.
Jetzt gab es kein zurück mehr. Ohne etwas zu sagen, stand Tanja auf und lief mit zittrigen Beinen in den Flur. Sie hörte Sina noch maulen: „Den Weihnachtsmann gibt es doch gar nicht Stelli“, da hatte sie die Tür schon aufgerissen.
Ein Mann mit braunen Augen lächelte sie an. Seine dunkelblonden Haare waren schon von einigen grauen Haaren durchzogen, trotzdem wirkte er noch sehr jung. Tanja dachte sofort an ihre eigenen braunen Augen und fragte sich, ob sie sie von ihm vererbt bekommen hatte.
„Bin ich hier richtig bei Stella Zislak?“, fragte er und kleine Lachfältchen bildeten sich um seine Augen. Tanja riss sich zusammen und versuchte ein freundliches Lächeln aufzusetzen.
„Ja genau, sie sind Herr…“, sie machte eine kurze Pause. Sie hatte nun eine Chance von 50 Prozent richtig zu liegen. „Herr Krämer?“
„Ja genau, Erwin Krämer!“ Der Mann begann wieder zu strahlende. Gerade als Tanja ihn hereinbitten wollte, sah sie das plötzlich ein weiterer Mann das Gartentor aufschob und auf sie zukam. Tanjas Finger verkrampften sich. Sie hatte nicht damit gerechnet beide Männer gleichzeitig begrüßen zu müssen.
„Guten Abend! Hier ist ja was los“, der zweite Mann kam näher. Er trug einen schicken Anzug und sein vollergrautes Haar war leicht zurückgegeelt.
„Erwin? Was machst du denn hier? Willst du auch zu Stella?“
„Karl? Das gibt es doch nicht. Ja, Stella hat mich für heute zum Essen eingeladen. Dich etwa auch?“
Tanja stand immer noch überfordert im Türrahmen, während sie das Gespräch zwischen den beiden Männern, die beide ihr Vater sein könnten, beobachtete. Natürlich war es nicht überraschend, dass sich die beiden kannten, da sie zusammen mit Tanjas Mutter im gleichen Studentenwohnheim gewohnt hatten. Tanja hatte trotzdem nicht damit gerechnet. Nun sahen sie zwei fragende Augenpaare an.
„Können sie uns sagen, was hier los ist?“, fragte Erwin mit gerunzelter Stirn. Tanja räusperte sich.
„Natürlich, aber kommen sie bitte zuerst rein.“
Sie führte die beiden Männer in den Flur und am Wohnzimmer vorbei, in dem Lars immer noch keuchend mit dem Tannenbaum beschäftigt war. Vor dem Esszimmer blieb Tanja kurz stehen um durchzuatmen. Dann drückte sie die Tür auf.
Das erste was sie sah, waren die weit aufgerissenen Augen ihrer Mutter, die zwischen Erwin und Karl hin-und herblickte.
Dann hörte sie Sina kreischen: „Das ist nicht der Weihnachtsmann!“
Tanja deutete den Männern an, sich zu setzten, dann blickte sie ihre Mutter an, die immer noch ganz fassungslos aussah. In ihrer Hand hielt sie eine Gabel, so als wollte sie sich verteidigen. Ihre Blicke trafen sich.
„Tanja was ist hier los?“
„Es tut mir leid Mama, aber ich wollte endlich wissen, wer mein Vater ist“, Tanja lächelte ihre Mutter entschuldigend an.
„Vater?“, Erwin sprang wieder auf und sah Tanjas Mutter entsetzt an.
„Ich dachte du hast mich zum Essen eingeladen, damit wir ein bisschen was trinken und quatschen.“
Auch Karl schaltete sich wieder in das Gespräch ein: „Genau das gleiche dachte ich auch Stella. Ich konnte ja nicht ahnen, dass dieser Affe hier auch auftaucht.“
Tanja schloss für einen Moment die Augen. So hatte sie sich die ganze Sache nicht vorgestellt. Sie sah wie ihre Mutter kurz mit den beiden Männern redete, doch durch das Rauschen in ihren Ohren konnte sie nicht hören, was sie sagten. Ein erneutes Türklingeln ließ das Rauschen verschwinden. Hatte sie noch jemanden eingeladen? Nein. Mara hatte wohl bemerkt, wie verzweifelt sich Tanja fühlte, denn sie stand auf und flüsterte ihr zu: „Ich gehe schon.“
Tanja wandte sich wieder ihrer Mutter und den beiden Männern zu. Dann flüsterte sie: „Ich habe die Briefe geschrieben. Es tut mir leid. Ich dachte nur, wenn ich euch erst einmal sehe, weiß ich, wer von euch mein Vater ist.“
Sie ließ ihren Kopf sinken. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie dumm die Idee eigentlich gewesen war. Sie hatte die Version eines Weihnachtswunders immer wieder in ihrem Kopf durchgespielt, doch mit so einem Chaos hatte sie nicht gerechnet. Nun schien sie das Weihnachtsfest für alle versaut zu haben. Sie spürte, wie ihre Mutter nach ihrer Hand tastete und sie drückte.
„Tanja mein Schatz. Ich wusste nicht, dass dich die Sache so sehr belastet. Ich muss dich leider enttäuschen. Keiner der beiden hier ist dein Vater.“
Tanja konnte förmlich hören, wie Erwin und Karl erleichtert ausatmeten. Sofort schien sich die Atmosphäre im Esszimmer aufzulockern und Tanja konnte sogar ein kleines Lächeln auf dem Gesicht ihrer Mutter entdecken.
„Das ist der Weihnachtsmann!!!“ Sinas lauter Aufschrei ließ alle Personen im Raum zur Tür blicken, in der tatsächlich ein rotgekleiderter Mann stand, dessen Gesicht zur Hälfte von einem langen, weißen Bart verdeckt war. Mara trat hinter dem Mann hervor und schaute Sina freudestrahlende an.
„Ja mein Hase, den Weihnachtsmann gibt es wirklich.“
Tanja erinnerte sich wieder daran, wie ihre Tante ihr erzählt hatte, dass sie für Sina einen Weihnachtsmann besorgen wollte, da diese im Kindergarten aufgeschnappt hatte, den Weihnachtsmann würde es gar nicht geben. Sie kniff die Augen etwas zusammen und versuchte zu erkennen, wer da unter dem Kostüm steckte.
Braune, warme Augen blickten ihr entgegen und ein breites Lächeln zeichnete sich unter dem Bart ab. Sie hörte, wie ihre Mutter etwas näher zu ihr rutschte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Für einen kurzen Moment konnte sie gar nicht glauben, was sie da hörte und ihr Herz machte einen kleinen Sprung.
„Tanja, das ist mein Weihnachtsgeschenk für dich dieses Jahr. Das ist dein leiblicher Vater.“